Kolibri und Scanner-Persönlichkeit: Ist das das Gleiche?
Man könnte meinen, als die Kunde von den „Scanner-Persönlichkeiten“ die Runde machte, habe es ein allgemeines großes Aufatmen gegeben. Und oft, wenn ich meine „Kolibri-Theorie“ zum Besten gebe, sagt irgendjemand „ja, die Kolibris – oder Scanner – wie ich …“. Anfangs habe ich mir dabei nicht viel gedacht, außer „okay, wenn sie sich mit der Bezeichnung eines Geräts identifizieren können …“. Dann habe ich mir diese Scanner-Sache aber selbst einmal zu Gemüte geführt. Und ich komme zu dem Schluss: Nein, Kolibris sind nicht zwangsläufig auch Scanner-Persönlichkeiten. Zumindest nicht nach unserer Definition. Ich will dir erklären, warum.
Warum (wahrscheinlich) alle scharf aufs Scanner-Sein sind
Der Begriff „Scanner“ wurde von der amerikanischen Autorin und Coach Barbara Sher geprägt. Sher beschäftigt sich hauptsächlich mit Menschen, die Schwierigkeiten in Sachen Zielfindung und Motivation haben. Und das Buch „Du musst Dich nicht entscheiden, wenn du 1000 Träume hast“ (Vorsicht: Affiliate-Link) klingt auch wirklich nett. Und das deswegen, weil sie einfach zu viele Interessen haben. Und nicht nur das, sie sind auch noch hochbegabt. Also hoch- und vielbegabt. Sie haben einfach so viele Interessen und sind in so vielen Dingen gut, dass sie sich verzetteln und mitunter ein Problem haben, sich auf etwas festzulegen. Der Tag, der Monat, das Jahr, das Leben hat eben einfach nur begrenzt Zeit. Man muss sich also zwangsläufig entscheiden. Scanner-Persönlichkeiten bringen oft etwas nicht zu Ende oder brechen Dinge wieder ab, weil sie die Nummer einfach so schnell verstanden haben und so schnell schon so gut können, dass es sie langweilt. Dann muss eine neue Herausforderung her.
Mich persönlich wundert es nicht sonderlich, dass mit einem Rutsch die (selbsternannten) Scanner-Persönlichkeiten so aus dem Boden schossen und ihre Erleuchtung fröhlich in Insta-Stories oder Blogeinträgen verkündeten. Weil, ist halt schon geil, wenn man vielseitig begabt ist. Und hochbegabt. Das klingt phänomenal und ist eine hervorragende Begründung dafür, dass man Dinge nicht zu Ende bringt oder viel anfängt und wieder aufhört.
Okay, Sarkasmus beiseite. Es gibt Scanner-Persönlichkeiten, sicherlich. Und ich bin mir sicher, dass das Fluch und Segen zugleich sein kann. Vielleicht mehr Fluch. Vielleicht auch mehr Segen. Wer weiß. Aber ich bin überzeugt: Wenn es diese Scanner wirklich gibt (und das ist nicht erwiesen, es ist eben ein Konzept, mit dem sich viele identifizieren können), dann ist das nur ein gewisser – und wahrscheinlich nicht allzu großer – Prozentsatz aller Menschen.
Warum Kolibris und Scanner nicht das Gleiche sind
Kolibris und Scanner sind nicht dasselbe Ding. Es stimmt, dass Kolibris in unserer Lesart nicht diese eine große Leidenschaft, dieses eine Ding haben. Oder noch nicht. Aber das ist nicht deswegen so, weil sie so vielseitig begabt sind. Nimm mich, zum Beispiel. Ich bin höchst einseitig begabt. Ich schreibe ganz gut, es interessiert mich auch sehr und ich würde auch schreiben, wenn niemand auf der Welt auch nur einen Buchstaben von mir lesen wollte. Aber ich bin furchtbar mies in allem, was irgendwie Logik oder auch nur strukturiertes Denken erfordert. Geh mir weg mit Mathe. Hör mir auf mit Excel. Und ich werde auch nie verstehen, warum Leute Sudoku toll finden. Ich habe auch keinen grünen Daumen, obwohl ich Botanik faszinierend finde und ich kann auch nicht sehr gut malen, obwohl ich Kunst liebe. Liebend gerne wäre ich ein großer Bühnenstar geworden, aber wenn ich eine Rolle spielen soll und andere mir zusehen, komme ich mir dumm vor und das macht meine Performance dann so halbgar. So wie wenn angehende Topmodels mit schlaffen Armen dramatische Laufsteggesten zu machen versuchen und die „Modelmama“ dann an ihnen herumrüttelt und sagt, dass sie mehr Pfeffer im Arsch brauchen.
Ich kann also nicht so wirklich von mir behaupten, dass ich vor lauter Talent und Begabung einfach nicht weiß, wofür mein Herz am meisten schlägt. Ich weiß es schon, so ganz ungefähr hab ich eine Ahnung, wo es lang gehen könnte. Ich habe einen ganz groben Kurs. Ich habe Neigungen. Ich habe Neugier (und das habe ich mit Scannern gemeinsam). Aber ich bin weit davon entfernt, alles zu können, was ich liebe. Sicherlich könnte ich in einigem besser sein, als ich es bin, wenn ich es regelmäßiger üben würde.
Es geht um die Autobahn
Ich würde also sogar so weit gehen, dass Kolibris nicht nur nicht zwangsläufig viel-begabt sind, sondern dass sie nicht einmal viel-interessiert sein müssen, um Kolibris zu sein. Kolibris haben einfach nur noch nicht die große Vision inklusive Marschroute parat. Auch wenn sie sich dazu zwingen würden, erst das Ziel und die Marschroute festzulegen, bevor sie anfangen, würde nichts daraus werden. Weil Kolibris so nicht ticken. Kolibris müssen ausprobieren und im Tun den Weg finden. Und vielleicht die Berufung – fürs erste. Je mehr Kolibris sich selbst entdecken, desto sichtbarer wird der Weg. Das hat nichts mit Hochbegabung zu tun, es ist einfach nur ein Stil, durchs Leben zu gehen. Von daher schließt das Kolibri-Sein einfach mehr Menschen ein als der Begriff „Scanner“. Scanner mögen also vielleicht Kolibris sein, aber nicht alle Kolibris sind Scanner. Auch können Scanner keine Kolibris sein. Sie haben vielleicht X glasklare mit Leidenschaft aufgeladene Berufungen zur Auswahl und wissen nur nicht, welcher Autobahn sie folgen sollen. Kolibris fahren nicht auf der Autobahn. Kolibris sind die, die ohne Stadtplan durch die Gegend wandern und schauen, was ihnen so auf ihrem Weg begegnet.
Mir ist wichtig zu sagen: Das eine ist nicht besser oder schlechter als das andere. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Das Home of Hummingbirds ist allerdings nicht die Zuflucht der außergewöhnlichen Gentlemen (und Ladys), die einfach zu viele Begabungen haben. Es ist einfach für alle da, die von purer Neugier getragen und (noch) ohne große Berufungserleuchtung durch ihr Leben flattern.
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